Der Fachkräftemangel in der Schweiz hat sich zu einem Personalmangel entwickelt, der alle Berufe und Sektoren betrifft. Deshalb wird es für Unternehmen immer wichtiger, bestehende Mitarbeitend:innen zu binden und zu halten.
In der Schweiz fehlen nicht nur Spezialist:innen und Expert:innen, sondern auch unqualifizierte Arbeitskräfte in allen Berufen und Sektoren – trotz einem für 2023 unterdurchschnittlich prognostiziertem Wirtschaftswachstum. Die Wirtschaftslage mit der Inflation bleibt herausfordernd. Und doch verzeichnete die Schweiz im Jahr 2022 mit 2.2% die tiefste Arbeitslosenquote seit 20 Jahren.
Der Personalmangel hat zahlreiche Ursachen
Neben der herausfordernden Wirtschaftslage gehen aktuell viele Babyboomer in Pension. Der Nachwuchs an jungen Menschen, die neu in den Arbeitsmarkt eintreten sowie die Migration reichen nicht aus, um die Abgänge zu kompensieren. Hinzu kommt, dass immer mehr Arbeitnehmende – darunter auch viele Männer – Teilzeit arbeiten. Zudem lassen sich immer mehr Arbeitnehmende frühpensionieren.
Dies führt zu einer Machtveränderung auf dem Arbeitsmarkt – zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Unternehmen müssen sich heute bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bewerben, und nicht umgekehrt.
Erwartungen an die Arbeitgeber
Um an die besten Mitarbeitenden, Expertinnen und Talente heranzukommen, müssen Arbeitgeber mehr bieten als einen guten Lohn, attraktive Sozialleistungen und flexible Arbeitsbedingungen. Was Arbeitnehmende von Unternehmen erwarten, das haben wir mit der Umfrage «European Work Voices 2022/2023» untersucht. Den 5’600 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Schweiz, Deutschland, Frankreich, UK und Irland, Italien, den Niederlanden und Portugal ist der Sinn in der Arbeit besonders wichtig. Und sie wollen als Person wahrgenommen werden, mit all ihren Eigenheiten, Fähigkeiten und individuellen Facetten. Diese Bedürfnisse sind nicht neu, und beschränken sich nicht auf die jungen Generationen. Auch früher suchten Arbeitnehmende einen Sinn in der Arbeit und wollten als Individuum gesehen werden. Aber früher konnten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dies schlicht nicht einfordern, weil Arbeitgeber aus vielen Bewerbern auswählen konnten.
Individuelle Ansprache im Recruiting
Für die Suche nach den besten Mitarbeitenden bedeutet dies: Es braucht eine individuelle Ansprache, um erfolgreich zu sein. Bei der Active Search auf LinkedIn reicht manchmal eine kurze Nachricht mit persönlicher Ansprache und dem Link auf das Jobinserat, um Kandidatinnen zu einem Gespräch zu bewegen. Bei anderen Kandidaten hingegen muss man sich vertieft mit ihrem Profil auseinandersetzen, und dann zum Beispiel auf konkrete Weiterentwicklungsmöglichkeiten eingehen.
Employer Branding von innen nach aussen
Neben dem Bedürfnis, als Person wahrgenommen zu werden, sind die gelebten Werte für Arbeitnehmende von grosser Bedeutung. Sie achten darauf, ob das mittels Employer Branding vermittelte Bild des Arbeitgebers mit der Realität übereinstimmt. Sind die Dinge nicht überall perfekt, lohnt es sich, dies anzusprechen. Diese Offenheit in der Kommunikation wird besonders von jungen Generationen geschätzt. Sie wollen zudem erfahren, welchen Beitrag sie leisten und was sie im Unternehmen konkret bewirken können.
Bestehende Mitarbeitende entwickeln und halten
Gelingt es dem Unternehmen, die richtigen Mitarbeitenden zu finden, wird es umso wichtiger, sie zu halten. Zu unterstützenden Massnahmen zählen neben den gelebten Werten die Weiterentwicklungsmöglichkeiten – und zwar über Generationen hinweg. Denn nicht nur die jungen Mitarbeitenden sollen entwickelt und gefördert werden. Ist jemand 55 Jahre alt, wird diese Person möglicherweise noch 10 Jahre im Unternehmen bleiben. Auch die Generation der älteren Arbeitnehmenden braucht Entwicklungspotenziale – dies nicht zuletzt, um Frühpensionierungen abzufedern.
Employee Retention: Den Mitarbeitenden Sorge tragen
Auch den Führungskräften muss Sorge getragen werden. Das zeigt sich insbesondere in Unternehmen, in denen die Hierarchien immer flacher werden, oder welche neue, agile Organisationsformen einführen. Werden immer mehr Aufgaben und Themen in Teams verteilt, kann dies dazu führen, dass nur noch die Probleme bei den Führungskräften aufschlagen. Unternehmen müssen darauf achten, dass bei solchen Rollen der Fokus nicht alleine auf Eigenverantwortung und individuelle Resilienz gelegt wird, sondern die Führungskräfte kompetent unterstützt werden.
Lösungen im Dialog mit den Mitarbeitenden entwickeln
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben heute andere Anforderungen an Anstellungs- und Arbeitsbedingungen. Doch die Viertagewoche oder eine Flexibilisierung der Arbeitszeit funktioniert nicht für jede Branche oder jede Firma. Fragt man die bestehenden Mitarbeitenden, warum sie gerne bei der Firma arbeiten – und was man tun könnte, damit dies noch lange so bleibt – kommt man auf neue Ideen, versteht ihre Bedürfnisse, fördert Transparenz und Dialog und kann die Mitarbeitenden in die Lösungsfindung miteinbeziehen.
Über den Autor
Balz M. Villiger, Präsident des Verwaltungsrats & Country Manager Schweiz sowie Vorstandsmitglied von swissstaffing. Dieser Artikel wurde zuerst im swissstaffing Blog veröffentlicht.